Ein Phänomen ist das, was sich an sich selbst zeigt. In der Phänomenologie bezeichnet es die Wirklichkeit des Erscheinenden unabhängig von seinem Bezug auf eine mögliche objektive Existenz und Geltung. Das Phänomen ist „sich selbst“ – ist seiner selbst also bewusst und bildet damit eine Realität als Selbstpräsenz.
Am Phänomen ist also das Erscheinen entscheidend, nicht der Erscheinungsgehalt. Ob ein Haus, das ich mir vorstelle, auch unabhängig vom Phänomen der Vorstellung gegeben ist, spielt für die Wirklichkeit des Phänomens keine Rolle. Das Haus gewinnt also phänomenal auch dann nicht an Wirklichkeit, wenn es objektiv existiert.
Das Phänomen ist somit nicht das Epiphänomen der realen Existenz von Gegenständen, Vorgängen, Konstellationen und Gesetzen. Es ist nicht von deren Sein abgeleitet, sondern bildet eine Realität, die absolut für sich steht. Diese Wirklichkeit unterliegt keinen Bedingungen der Welt, damit es sich selbst erscheint. Kein Kriterium der Welt kann die Wirklichkeit des Phänomens bestimmen.
Umgekehrt verdankt der Erscheinungsgehalt eines Phänomens (ein Gedanke, ein Wunsch, eine Wahrnehmung etc.) seine Wirklichkeit als Sich-Gegebensein vollkommen dem Phänomen und nicht einer möglichen objektiven Existenz. Diese schließt gerade ein phänomenales Sich-Erscheinen prinzipiell aus, ist also maximal arm an Wirklichkeit, sofern damit die Selbstpräsenz gemeint ist.
Die Verursachung von Phänomenen (neuronale Aktivität, Körper, Gehirn etc.) wird oft mit dem Phänomen gleichgesetzt. Damit wird die Natur der Wirklichkeit des Phänomens verneint; sie wird „wegerklärt“. Ursachen von Wirklichkeit können jedoch die zu erklärende Wirklichkeit nicht in Bezug auf das Sich-Erscheinen bestimmen. Insbesondere der Sprung vom Nicht-Phänomen zur Phänomenalität des Phänomens, zu seiner Selbstpräsenz, kann damit nicht erklärt werden.
Das Phänomen ist in der Phänomenologie nicht subjektiv, sondern das unbezweifelbar Gegebene. Es ist die Wirklichkeit schlechthin und ausgehend von ihr lassen sich die Sphären der Objektivität und Subjektivität bestimmen. Doch bleibt das Objektive stets ein Abgeleitetes, während das Phänomenale das Gegebene ist, aus dem abgeleitet wird.
Sebastian Knöpker